Killer-Seen: Lautloser Tod aus der Tiefe (2024)

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Ein dumpfes Donnergrollen kündigte am 21. August 1986 die Katastrophe an. Erst verloschen Gaslampen, Petroleumfackeln und Herdfeuer - dann alles Leben im Umkreis des Nyos-Sees in Kamerun.

1746 Menschen und mehr als 2000 Tiere starben innerhalb kürzester Zeit. Der nahe gelegene Nyos-See hatte eine Wolke von geschätzten 1,7 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausgespuckt, die sich, da schwerer als Luft, am Boden entlang in bis zu 20 Kilometer entfernte Dörfer wälzte. Die Bewohner hatten keine Chance: Sie wurden bewusstlos und starben.

Die Katastrophe am Nyos-See in Kamerun liegt fast 22 Jahre zurück. Doch die Tragödie lenkte die Aufmerksamkeit von Fachleuten auf eine Gefahr, die nicht nur in Kamerun besteht - und die auch heute zahlreiche Menschen bedroht: Vulkanische Kraterseen, in denen tödliche Gefahren schlummern.

20 Jahre nach der Katastrophe wissen die Experten längst, wie das giftige Gemisch des Nyos-Sees an die Oberfläche gelangte. Der See ist stellenweise mehr als 200 Meter tief. Am Grund ist der Druck so groß, dass sich der Aggregatzustand des Kohlendioxids ändert: Es ist nicht mehr gasförmig, sondern flüssig. Forscher bezeichnen das, was am Nyos-See passiert ist, als "Champagner-Effekt". Unter dem Druck in der Flasche bleibt das Kohlendioxid flüssig. Entfernt man den Korken, sinkt dieser Druck - das Kohlendioxid nimmt wieder den gasförmigen Zustand an und entweicht.

Explosiver Gas-Austritt

Im Nyos-See übernehmen gewaltige Wassermassen die Funktion des Korkens. An seiner tiefsten Stelle enthält der Nyos-See fast zwei Millionen Tonnen flüssiges Kohlendioxid. Nach Schätzungen der Experten dauert es mehr als 300 Jahre, bis sich eine derartige Menge angesammelt hat. In den meisten Kraterseen bauen sich die Gasmengen auf natürlichem Weg auch wieder ab: Im Winter kühlen sich die oberen Schichten des Wassers schneller ab als die unteren. Warmes Wasser steigt auf, kaltes sinkt herab. Dabei sinkt der ständige Druck und das flüssige Kohlendioxid kann als Gas entweichen. So können sich keine größeren Mengen CO2 über Jahrhunderte ansammeln.

Doch in Kamerun gibt es keine kalte Jahreszeit. Hier, nahe des Äquators, herrschen das ganze Jahr konstante Temperaturen. Die gleichbleibende Hitze sorgt dafür, dass das Wasser an der Oberfläche wärmer und damit leichter bleibt. So konnte sich das Kohlendioxid über Jahrhunderte in den tiefen Gewässern ansammeln. Vermutlich hat der Einsturz eines Felsvorsprungs 1986 die Katastrophe ausgelöst: Das Gestein stürzte in den See und wirbelte das geschichtete Wasser durcheinander. Mit CO2 angereichertes Wasser stieg an die Oberfläche, das Gas entwich explosionsartig.

Ein solches Unglück könnte sich an anderer Stelle wiederholen. Damit ein See zum Killer werden kann, muss er mindestens 50 Meter tief sein, damit der Druck am Grund groß genug ist, um das CO2 unten zu halten. Zudem muss äquatoriales Klima herrschen, damit das Wasser über das Jahr nicht zirkuliert.

Kiwu-See ist eine Zeitbombe

Nur auf wenige vulkanische Seen treffen alle Faktoren zu. Doch ausgerechnet einer der größten und tiefsten Seen Afrikas gilt als tickende Zeitbombe. Der Kiwu-See an der Grenze zwischen Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo ist 2000-mal größer als der Nyos-See und enthält tausendmal so viel Kohlendioxid. An seinem Boden lagern geschätzte 250 Milliarden Kubikmeter CO2 und bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Methan.

Gewaltige Mengen Wasser - eine zusätzliche Bedrohung

Die Region ist dicht besiedelt. Zudem liegt der Vulkansee in geologisch aktivem Gebiet. Und der riesige Kohlendioxidspeicher schwillt immer weiter an. Experten befürchten, dass bei einer Erschütterung große Mengen CO2 freigesetzt werden könnten – mit katastrophalen Auswirkungen für die rund zwei Millionen Menschen, die an den Ufern des Kiwu-Sees leben.

In den USA könnten ähnliche Katastrophen drohen. Dort gibt es zahlreiche vulkanische Kraterseen. Auf den ersten Blick offenbart sich ein ähnliches Szenario. Doch die Gefahr heißt hier Schwefeldioxid.

Gefahr am Mount Rainier

14 Vulkane des Kaskadengebirges im pazifischen Nordwesten der USA gelten als aktiv. Die größte Sorge bereitet den Experten ein Katastrophenszenario, das auch ohne einen Ausbruch verheerende Folgen haben könnte.: Tödliche Schlammlawinen am Mount Rainier im US-Bundesstaat Washington. Der 4395 Meter hohe Berg ist der größte Vulkankegel des Kaskadengebirges, das sich über tausend Kilometer von Nordkalifornien bis an die kanadische Grenze erstreckt. Der Mount Rainier ist ein Schichtvulkan, ein Eisriese, dessen steile Flanken auch im Sommer von gewaltigen Gletschern bedeckt sind.

Die Gefahr für mehr als 100.000 Menschen in unmittelbarer Umgebung des Mount Rainier lauert im Schmelzwasser und im Eis des Bergkraters: vulkanisches Gas. In acht bis zehn Kilometer Tiefe entweicht aus der Magmakammer Schwefeldioxid und steigt durch den Vulkan auf. Das Gas trifft auf warmes Schmelzwasser und verbindet sich mit ihm zu Schwefelsäure.

"Es dringt durch den Vulkan, sickert durch Risse und Spalten und verändert das harte, vulkanische Gestein", sagt der Geologe Kevin Scott vom US Geological Survey. Die Schwefelsäure verändert im Lauf von Jahrhunderten die Zusammensetzung des eigentlich harten vulkanischen Gesteins. Der Fels wird poröser und zerbröselt leicht - ein bekanntes Phänomen, das immer dann auftritt, wenn vulkanisches Gas und Wasser aufeinandertreffen.

Gestein viele Jahrtausende lang geschwächt

Am Mount Rainier könnte dieser natürliche Prozess eine Katastrophe auslösen. Der Vulkan ist rund eine Million Jahre alt und damit einer der ältesten Vulkane der Kaskadenkette. Über viele Jahrtausende hat die Säure das Gestein durchdrungen und chemisch verändert. Die Gefahr, die durch die Zersetzung des Vulkans droht, ist wesentlich höher als bei anderen Vulkanen wie dem benachbarten Mount St. Helens, der nur 50.000 Jahre alt ist.

Experten befürchten, dass der Mount Rainier jeden Moment nachgeben könnte. Sinkt die Spitze des Vulkans in sich zusammen, könnte das eine Schlammlawine auslösen, die den Berghang hinunter stürzen und alles Leben unter sich begraben würde. Bei dem Vulkanausbruch des benachbarten Mount Saint Helens im Jahr 1980 demonstrierte ein vulkanischer Schlammstrom, ein sogenannter Lahar, seine zerstörerische Kraft.

Die oberen 400 Meter des Vulkans stürzten den Berg herunter. Es war der größte Erdrutsch, der jemals verzeichnet wurde. Innerhalb weniger Minuten mischten sich Eis und Gesteinsschutt unter den Schlamm und bildeten mehrere Lahars. Die Gerölllawinen donnerten mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 70 Stundenkilometern den Mount St. Helens hinunter. Der schnellste Lahar erreichte eine Schnelligkeit von 110 km/h und zerstörte 200 Häuser. "In den vergangenen Jahrzehnten kamen mehr Menschen durch Schlammströme ums Leben als durch Vulkanausbrüche", betont Scott.

Schlammlawinen könnten ohne Vorwarnung kommen

Am Mount Rainier stellen gewaltige Mengen Wasser eine zusätzliche Bedrohung dar. Vier Milliarden Kubikmeter Gletscherschnee und -eis lagern hier, fünfmal so viel wie an allen anderen Vulkanen des Kaskadengebirges zusammen. Ein Einsturz würde nicht nur den Kratersee zum Überlaufen bringen, sondern auch gefrorenes Wasser aus den oberen Schichten mobilisieren. Bereits ein verhältnismäßig kleiner Zusammenbruch von Teilen des Vulkans würde einen Lahar von verheerenden Ausmaßen verursachen.

Der letzte Lahar am Mount Rainier rollte vor etwa 200 Jahren 45 Kilometer weit ins Land. "Wir wissen, dass ein Lahar am Mount Rainier ohne einen Ausbruch auftreten kann", sagt Scott. Akustische Überwachungsgeräte würden erst Alarm geben, wenn der Lahar bereits herabstürzt.

Nach Schätzungen des geologischen Dienstes der USA blieben nur 40 Minuten für eine Evakuierung des bedrohten Gebiets. Millionen Tonnen Gestein, Eis und Geröll könnten mit einer Geschwindigkeit von 80 Kilometern in der Stunde den Berg hinab rollen und alles in Schutt und Asche legen.

SPIEGEL TV Thema über das Phänomen der Killer-Seen. Heute 22.50 bis 00.50 Uhr, Vox

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Author: Ouida Strosin DO

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